Verbaler Angriff – wie reagiere ich am besten? Die Judo-Technik in der Kommunikation!

Thomas Rehehäuser

VON THOMAS REHEHÄUSER

Dialogbegleiter für Reflexion, Resonanz und Wachstum – Menschen, Führungskräfte und Teams | Trainer für Kommunikation, Konflikt und Qigong.

Wie reagiere ich souverän auf verbale Angriffe? Die Judo-Technik in der Kommunikation
Wie reagierst du, wenn dich jemand verbal angreift? Instinktiv gehen viele in den Gegenangriff oder verstummen – doch es gibt eine klügere Strategie. Statt dich auf einen Schlagabtausch einzulassen, kannst du die Energie des Angriffs aufnehmen und diese Energie nutzen, um selbst anzugreifen – genau wie im Judo. In diesem Artikel erfährst du, wie du mit der Judo-Technik in der selbst bei starken verbalen Angriffen gut reagieren kannst und gleichzeitig selbst die Gesprächsführung übernehmen kannst.
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Was tust du nach einem verbalen Angriff?

Ich kenne niemanden, der es nicht selbst erlebt hat. Aus dem Nichts kommt ein verbaler Angriff, der einen aus der Fassung bringt. Du ringst damit, dass dein Gegenüber es dir nicht anmerkt. Doch dein Puls steigt rasant an, das Blut schiesst dir in den Kopf, dein Hals schnürt sich zu. Jetzt hast du drei Alternativen: Kampf, Flucht oder Totstellen.

Von diesen vier Faktoren hängt es ab

Die Wahl deiner Reaktion hängt von vier Faktoren ab:

  1. Wie geht es dir gerade? Bist du gut drauf? Oder müde, hungrig, dir ist kalt?
  2. Wie ist die aktuelle Situation, d. h. seit ihr zu zweit, sind andere Menschen mit dabei oder gar ein großes Publikum?
  3. Wie ist der Kontext des verbalen Angriffs? Findet er im privaten Umfeld statt (Vater, Muter, Geschwister, Onkel, …) oder im beruflichen Kontext (Chef, Mitarbieter, Kollege, Betriebsrat, …)?
  4. Wie sind deine bisherigen Reaktionsmuster und bist du mit den Ergebnissen zufrieden?

Diese Faktoren bestimmen darüber, was du jetzt tun wirst.

Die Sofort-Hilfe bei einem verbalen Angriff

Erste Regel

Die erste Regel ist so elementar wie wichtig: Atme, halte nicht die Luft an, sondern atme weiter! Das mag trivial klingen, doch viele Menschen hören erst mal auf zu atmen – ihnen bleibt die Luft weg. Deshalb atmen, weiteratmen. Das Gehirn braucht Sauerstoff. Jetzt nicht mehr oder flach zu atmen, fördert die große gedankliche Leere in dir. Atmen, erste Regel.

Zweite Regel

Jetzt wäre eine Zeitmaschine hilfreich. Du könntest die Zeit anhalten und ganz entspannt und in Ruhe überlegen, wie du reagieren kannst. Diese Varianten würdest abwägen und dich für eine entscheiden. Dann die Zeitmaschine wieder laufen lassen und schauen, wie der andere reagiert. Gefällt dir die Reaktion nicht, springst du mit der Zeitmaschine zurück und versuchst eine neue Vorgehensweise.

OK, du hast keine Zeitmaschine, also nur einen Versuch! Und jetzt kommt die zweite Regel: Gewinne Zeit.

Mögliche Antworten sind:

  • „Wie meinst du das?
  • „Kannst das näher erläutern?
  • „Warum glaubst du das?“
  • Was führt dich zu dieser Erkenntnis?“

Eine kleine Nachfrage, sei es nur, kannst du es kurz wiederholen – bringt dir bereits mehrere Sekunden, um dich zu sammeln.

Dritte Regel

Du atmest noch, hast ein paar Sekunden gewonnen – und schon sieht deine Welt ganz anders aus, als direkt nach dem verbalen Angriff. Gut gemacht, gratuliere dir!

An diesem Punkt gibt es viele Möglichkeiten zu reagieren. Ich biete aus dieser Vielzahl drei Möglichkeiten an. Sei erfinderisch, probiere aus – es gibt kein richtig und falsch!

Erzeuge Verwirrung

Diese Antwort verwirrt dein Gegenüber. Die meisten Menschen erwarten eine logisch nachvollziehbare Antwort, du kannst auch anders. Das Spektrum möglicher Antworten als erste Impulse:

  • „Nein“ ›› nur dieses Wort, dann schweigst du.
  • „Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn wir alle eine Sprache sprechen würden.“ ›› deine Aussage muss keinen Sinn ergeben!
  • „Du redest von Dingen, die in der Vergangenheit keine Zukunft haben.“ ›› beschäftigt den anderen erst mal.

Mache ein Beziehungsangebot

Wenn du nicht in Konfrontation gehen möchtest, sondern gemeinsam mit dem „Angreifer“ tiefer gehen willst, dann wäre die folgende Vorgehensweise eine Option für dich.

  1. Beschreibe sachlich, was passiert ist („Ich habe gerade gehört, dass du mich doof nennst …“).
  2. Teile mit, wie es dir damit geht („Das irritiert mich“ oder „Das verletzt mich“).
  3. Mach einen Vorschlag für die nächste Ebene des Gesprächs („Wann kam dir dieser Gedanke zum ersten Mal?“).

Diese drei Schritte helfen dir in Kontakt zu kommen und dein Verständnis für die Situation und ihre Entstehung besser zu verstehen. Gleichzeitig bekommt dein Gegenüber den Raum, seine Sichtweise in Ruhe zu erläutern. Bleibe mit Fragen im Gespräch, versuche zu verstehen und fasse das Gesagte immer wieder mit deinen Worten zusammen.

 

Wende die Judo-Technik an

Du fühlst dich vor einer Gruppe angegriffen, im betrieblichen Umfeld. Ein unfairer Vorwurf? Dann empfehle ich die Judo-Technik. Einfach anzuwenden und höchst effektiv.

Im Judo nutzt der Verteidiger die Energie des Angreifers, um ihn „aufs Kreuz zu legen“, sich zu wehren. So machst du auch – du nutzt die Energie des verbalen Angreifers, um ihn „aufs Kreuz zu legen“.

So gehst du vor:

  • Statt in den Widerstand zu gehen, nimm den Angriff auf:„Wenn ‚doof‘ bedeutet, dass ich für meine Bedürfnisse einstehe, auch wenn ich damit deine Erwartungen nicht erfülle – ja, dann bin ich doof.“
  • Struktur: „Wenn X bedeutet, dass …, dann ja, bin ich X.“

Gehe dir auf den Grund – warum triggert dich das?

Der verbale Angriff ist vorbei, du hast ihn gut pariert und fühlst dich wieder gut. Jetzt ist der Zeitpunkt, wo du aus dem verbalen Angriff wirklich Kapital schlagen kannst.

Stelle dir die Frage: Warum hat mich dieser Angriff so getriggert?

Das hat was mit dir, deinen Glaubenssätzen, deiner Haltung, deinen Erwartungen usw. zu tun. Vielleicht kamen Selbstzweifel oder alte Muster in dir hoch.

 Stelle dir folgende Fragen:

  • Welche Gefühle hat es in dir ausgelöst?
  • Wo hast du Druck, Anspannung im Körper gespürt?
  • Welche Überzeugungen oder Ängste werden berührt?
  • Ist es wirklich „deins“ oder eher eine Projektion des anderen?
  • Woher kennst du diese Art von Angriffen? Wie hast du bisher darauf reagiert?
  • War deine Reaktion anders als sonst? Nein, warum nicht und wie fühlt es sich jetzt an?
  • Wie möchtest du das nächste Mal reagieren, wenn diese Art Angriff kommt?
  • Wie kannst du jetzt an daran arbeiten, dass es dich nicht mehr so stark trifft?

Wahre Veränderung beginnt in dir selbst

Du kannst den anderen nicht verändern. Du kannst nur dich verändern. Und wenn du dich veränderst, muss sich der andere verändern – das geht nicht anders (oder eure Wege trennen sich, aber das ist auch eine Veränderung).

Diese Art von Veränderung braucht drei Stufen, die du nehmen musst:

  1. Die Wahrnehmung eines Problems: Du erkennst, dass du etwas ändern möchtest.
  2. Die Übernahme der Verantwortung: Du erkennst, dass du es bist, der es verändern „muss“.
  3. Handlungsoptionen: Du weißt Mittel und Wege, wie du dich verändern kannst.

Viele Menschen scheitern auf eine der Stufen.

  1. Wer in seiner Reaktion auf den verbalen Angriff kein Thema (Problem) sieht, dass mit ihm zu tun hat oder seine Reaktion als „normal“ kennzeichnet, überschreitet diese Stufe nicht.
  2. Wer zwar ein Problem erkennt, jedoch das Gegenüber dafür verantwortlich macht, bleibt hier stehen. Motto: Die Welt ist schuld!
  3. Wer bis zu Stufe 3 vorgedrungen ist, braucht zuverlässige Möglichkeiten, neue Wege zu gehen. Der Markt bietet zahlreiche Angebote, von Büchern, Seminaren, Youtube-Videos und Gurus ist alles mit dabei. Entscheide selbst, was dir helfen könnte.

Meine Erfahrung und Empfehlung

Seit 2021 biete ich die Sokratischen Gespräch Online an. Und sie haben mein Verständnis über mich und über andere – wie kein zweites Format (mehr zum Format an sich)– verändert, vertieft und geschärft. Für mich das Beste Selbst-Coaching auf dem Markt.

Es vereint folgende drei Merkmale:

  1. Gemeinsamer Einstieg mit einer Frage als Ausgangspunkt für das Gespräch.
  2. Stille, um sich selbst besser beobachten zu können – um sich selbst besser und schneller auf die Schliche zu kommen.
  3. Gemeinschaft mit anderen Teilnehmern, um die eigenen Erkenntnisse zu teilen, darin gesehen zu werden und neue Perspektiven zu erhalten.

Ohne es an dieser Stelle ausführlich zu vertiefen, fehlen bei anderen Formate meist ein bis drei Punkte dieser Merkmale. Ein Artikel hierzu folgt noch, das Thema lautet: „Warum und wie funktioniert ein Sokratisches Gespräch Online?“.